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Selbstverständlich zusammen sein – Kontoauszug der Beziehung in der Eheberatung und Paartherapie

Wann habe ich meinem Partner das letzte Mal ein Kompliment gemacht? Wann haben wir das letzte Mal bewusst Zeit miteinander verbracht? Wann habe ich ihm oder ihr das letzte Mal einen Gefallen getan?

Geben ist seliger als nehmen und es scheint ein evolutiv entwickeltes Bedürfnis der Menschheit zu sein, zu geben, wenn man erhalten hat. Wir wollen folglich nicht in der Schuld anderer stehen, sondern ihnen zumindest etwas Gleichwertiges geben, wenn sie uns gegeben haben. Dieses Phänomen funktioniert jedoch auch in die andere Richtung: Wenn wir geben, erwarten wir automatisch, dass unser Gegenüber auch den Gefallen erwidert, nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere. Betrachten wir Beziehungen, erwarten wir jedoch viel eher selbstloses Geben und aufopfernde Liebe als kühle Kalkulation. Trotz der idealisiert-romantischen Vorstellung und allen guten Vorsätzen, fallen wir jedoch nach der anfänglich überschwänglichen Phase schnell zurück in evolutive Muster und verlangen, dass sich die Beziehung auszahlt. Doch was auf den ersten Blick unterkühlt, berechnend und leidenschaftslos wirkt, scheint für die meisten Beziehungen – vor allem jedoch für die engsten Bindungen – hervorragend zu funktionieren und kann, bewusst angewendet, sehr wohl auch die Liebe und generelle Zuneigung verstärken.

 

Beziehungskonto aufladen – Verhaltensmodell richtig nutzen in der Partnerschaft und Ehe

 

Nachdem wir diesem Verhalten nicht wirklich entkommen können, da es in unserem Sozialverhalten fest verankert ist, will ich hier als Beziehungsexperte zeigen, wie man es zu seinem Vorteil und für langanhaltende, glückliche Ehen und Partnerschaften nutzen kann. Der übliche Verlauf einer Beziehung beginnt mit einer Phase, in der die Partner sehr viel geben, sehr großzügig sind und nicht unbedingt auf materieller Ebene, sondern auf emotionaler und zeitlicher. Man nimmt sich Zeit für den Partner, bemüht sich, schöne Erlebnisse zu haben, nette Tage und Abende zu verbringen, hört aufmerksam zu, wenn er oder sie etwas zu erzählen hat, zeigt die eigene Zuneigung durch Zärtlichkeit. Dieses selbstlose Geben in der Anfangsphase, wenn beide frisch verliebt sind, ist ebenfalls ein evolutiv verankertes Verhalten, denn es macht Beziehungen erst möglich. Als Gewohnheitstiere sind Umstellungen unserer Routinen eine denkbar unangenehme Angelegenheit, somit ist es nötig, sie möglichst angenehm zu gestalten, um der Partnerschaft, welche eine denkbar große Umstellung unseres Lebens darstellt, überhaupt eine Chance zu geben. Wäre die Einstellung aufeinander mühevoll, lästig, unangenehm, würden wir den Kontakt wieder abbrechen.

Um einer Beziehung einen möglichst guten Start zu ermöglichen, wird somit automatisch viel und freiwillig auf das sogenannte Beziehungskonto eingezahlt. Diese Phase, wenn sie beiden Partnern bewusst ist, kann auch über ihr natürliches Maß verlängert werden, jedoch hält sie nicht ewig an. Die Zärtlichkeiten, Aufmerksamkeit und die Zeit, die wir bereit sind in die Beziehung zu investieren, nehmen graduell ab. Oftmals wird dann davon gesprochen, dass sich der Alltag eingeschlichen hat und Sorgen, Probleme und Stress uns eingeholt haben. Der Partner wird zur Selbstverständlichkeit und das Konto wird Schritt für Schritt aufgebraucht. Diese Situation sehe ich als Paartherapeut und Eheberater sehr häufig, denn ab hier wird die Beziehung weniger angenehm. Die Partner zahlen weniger und unregelmäßiger ein, oftmals ist ein Partner auch bereit, mehr zu geben als der andere. Dadurch fühlt sich der großzügigere Partner ungerecht behandelt und dieses Ungleichgewicht führt möglicherweise zu Vorwürfen. In dieser Spirale fühlt sich der andere Partner jedoch oftmals ebenfalls ungerecht behandelt, da er gerade viel Stress im Beruf oder anderweitigen Belastungen ausgesetzt ist. Gleichzeitig fühlt er sich genötigt nun auf das Konto einzuzahlen, da dieses dringend aufgefüllt werden muss.

Diese Prozesse laufen oft automatisch ab, ohne dass wir uns dieses Verhaltensmodell bewusst machen. Doch wie können wir es nutzen, wenn dies der normale Verlauf ist? Indem wir wissen, dass es sich um ein Beziehungskonto handelt, welches nach denselben Regeln funktioniert wie unser Bankkonto, wissen wir auch, wie wir es in den schwarzen Zahlen halten können.

 

Konto ausgleichen in der Ehe und Partnerschaft – Was Beziehungen von der Finanzwelt lernen können

 

Bemerkt man, dass das Beziehungskonto ins Ungleichgewicht kommt, dass der Partner mehr einzahlt als man selbst oder der Kontostand möglicherweise bereits negativ ist, kann bewusst wieder Guthaben aufgeladen werden. Das positivste daran ist, dass diese kleine Entscheidung sehr große Wirkung haben kann und sie vor allem komplett gratis ist. Wir müssen keine Millionen am Bankkonto haben, um Millionen auf unserem Beziehungskonto vorweisen zu können. Fragen, die ich gerne meinen Klienten stelle, und die wir uns in diesem Zusammenhang stellen sollten: Wann habe ich meinem Partner das letzte Mal ein Kompliment gemacht? Wann haben wir das letzte Mal bewusst Zeit miteinander verbracht? Wann habe ich ihm oder ihr das letzte Mal einen Gefallen getan?

Wenn wir uns selbst diese Fragen regelmäßig stellen und vor allem auch danach handeln, wird sich das Beziehungskonto immer gut füllen. Und das schönste an diesem Modell ist – auch auf die Gefahr hin, dass dies wiederum berechnend klingt: Wenn wir im Übermaß geben, wird auch unser Partner uns im Übermaß beschenken und das bedeutet, dass sich alle in der Beziehung wohlfühlen, da das Konto im Überfluss ist.

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